27-02-2015, 18:06
A.M.S.-Broschüre 851/D (aus dem Faller-Katalog 1964-65)
Wir alle kennen die Erzählungen der Alten spätabends am Wasserloch, wenn sie davon raunen, dass die A.M.S. als Verkehrsspiel konzipiert war und die Faller-Brüder sich nur zögerlich dem Motorsport zuwandten. Als Beweis wird angeführt, dass aus Gütenbach lediglich vier reinrassige Rennfahrzeuge kamen: Porsche GT (904), Ferrari GT (Vorbild GTO), Chaparral 2F und die Zigarre in ihren diversen Erscheinungsformen (nein: der Jaguar E galt seinerzeit nicht als Rennwagen, sondern als ultimativer Puppenfänger). Und während die Alten in die Nacht starren (& zurück in vergangene Zeiten), murmeln sie, da sei von Faller Marktpotential verschenkt worden.
Aurora hatte noch in der Anlaufphase in Richtung Motorsport umgesteuert. Die in England nur zäh verkäuflichen „Electric Highways“ von Playcraft mutierten dabei zum „Model Motoring“ für Erwachsene mit Schaurennen im US-Fernsehen. Das war eine völlig andere Positionierung und orientierte sich an der Erfolgsstrategie der größeren Maßstäbe. Dem Innovator und Marktführer Scalextric folgend, setzten dort fast alle Anbieter auf Motorsport. Außerdem gab es ja nichts ur-amerikanischeres als nackten Speed. Schon 1928 hatte die „Dorfan Corporation“ in den USA Modelleisenbahn(!)-Rennen organisiert.
Erinnert sich noch irgendwer an den Land-Briefträger in Jacques Tatis Film „Das Schützenfest“ (1949)? Nachdem der – na, sagen wir mal: „ländlich-naive“ - Briefträger einen Dokumentarfilm gesehen hat über das rasante beschleunigte Leben und Arbeiten in den USA rast er – begeistert von soviel Fortschritt! - auf dem Dienstfahrrad durch sein beschauliches Dorf. Dabei schreit er: „Rapidité, rapidité!“ („Geschwindigkeit, Geschwindigkeit!“) Im Jahr 1949 fand man sowas lustig.
Was den Erfolg des Aurora-Konzepts angeht, so sprach der weitere Verlauf für sich. In den knapp drei Monaten nach der Markteinführung verkaufte Aurora 2 Millionen Bahnpackungen und 12 Millionen Autos. Niemals zuvor oder danach hatte und hat im US-Weihnachtsgeschäft ein neues Produkt derart eingeschlagen.
Das war es, was Charles Merzbach (der US-Repräsentant für Faller) nach Gütenbach berichtete. Und erstaunlicherweise war dort das Resultat ein Konzept, das sich den Strassenverkehr der „Electric Highways“ von Playcraft zum Vorbild nahm.
In der Faller-Broschüre 851/D – also spätestens ein Jahr nach Einführung der A. M.S. - bekennt sich Faller zwar zum Motorsport. Das Heft demonstriert aber auch gnadenlos, dass man im Südschwarzwald von diesem Thema keine klaren Vorstellungen hatte. Es ist kurios, was der „Fabrik feiner Modellspielwaren“ dazu einfällt. Beispiel:
„Es gibt zwei Gruppen von Rennwagen:
1. solche, die von Automobilmarken (Ferrari und ehemals Porsche) zum Zweck der Markenwerbung und meistens nicht käuflich sind, und
2. solche, die sozusagen Selbstzweck besitzen (z. B. Lotus und Cooper).“
(...mal Hand hoch, wer das beim ersten Lesen verstanden hat! Und nun bitte mal Hand hoch, wer beim zweiten Lesen glaubt, irgendwas verstanden zu haben, das aber Quatsch findet. – Danke.)
Auch die Markenbezeichnung „Masserati“ zeugt nicht unbedingt von Nähe zum Thema. Dieser Eindruck verstärkt sich weiter, wenn man in 851/D erfährt, Aufgabe des Motorsports sei, „neben der Befriedigung eines natürlichen Wettbewerbstriebes im echten sportlichen Sinn, auch gleichzeitig die Förderung nationalen Leistungsbewußtseins sowie friedliches internationales Zusammenleben“. – Wer auch das zweimal liest (muß man wohl!), sieht da plötzlich den Wertekanon der jungen Bundesrepublik in einen einzigen Satz getrümmert. Mehr an nationaler Identität gab es damals nicht. Und seither scheint auch nicht allzuviel dazugekommen.
An dieser Stelle schütteln die Alten dann den Kopf: “Jetzt überziehst Du“, seufzen sie: „Schließlich geht es hier um Spielzeug – um ein Hobby. Da ist das Ziel ein Sich-verlieren-im-Basteln-und-Spielen. Mit Politik hat das jedenfalls nix zu tun!“
Ach ja? - Alle Gesellschaftsformen – nicht nur unsere Konsum-Gesellschaft – kann man beurteilen nach ihrem Umgang mit der Freizeit. Glaubt irgendwer wirklich, der immense Markt-Erfolg von Carrera und A.M.S. wäre möglich gewesen ohne jene Freizeit und zusätzliche Kaufkraft, um die die Gewerkschaften lange und hart gekämpft hatten? Bis in die späten Fünfziger Jahre hinein waren „überflüssiges Geld und überflüssige Zeit“ für die Mehrzahl der Arbeitnehmer in Mitteleuropa undenkbar gewesen. Das Angebot der Spielzeug-Hersteller kann als Indikator gelten für jede (letztlich immer politische!) Veränderung dieser Situation. Die holprige (Vor-) Geschichte des Slot racings belegt dies mit zahllosen Beispielen. Es ist schon bemerkenswert, wieviele Anläufe über Jahrzehnte hinweg in den USA und Europa scheitern, bis Scalextric 1957 geradezu in den anglo-amerikanischen Spielzeug-Markt explodiert.
Dass der Aspekt „Motorsport“ dem A.M.S.-Konzept aufgepfropft scheint, wird plausibel wenn man bedenkt, dass Anfang der Sechziger die Le Mans-Katastrophe von 1955 noch in deprimierender Erinnerung war. Einige Nationen hatten danach den Motorsport auf ihrem Territorium verboten. Mercedes fuhr die Saison noch zuende (der Titel war dann doch wichtiger als alle Pietät), breitete dann aber in einer pathetischen Inszenierung Leichentücher über die Silberpfeile. Davon existieren Fotos.
Während das Projekt A.M.S. anlief, starb 1961, in Monza und auf dem Weg zur Formel 1-Weltmeisterschaft, Wolfgang von Trips (und mit ihm 15 Zuschauer). Wohl ein weiterer Grund, warum den Brüdern Faller das Thema Rennsport derart unangenehm war, dass sie um dessen Akzeptanz in 851/D geradezu betteln:
“Nur die Praxis bringt den endgültigen Beweis der besten Qualität und in diesem Sinne bitten wir auch die Sportveranstaltungen zu sehen“.
Das - vordergründig so unverdächtige - Wörtchen „Praxis“ wäre in diesem Zusammenhang einer genaueren Betrachtung wert. Es scheint, als sei man sich in Gütenbach durchaus bewußt gewesen, dass die – damals mörderische – „Praxis“ den Motorsport diskreditierte. Andererseits machte diese „Praxis“ den Motorsport auf perverse Art „interessant“. Und das öffnete – neben dem „Verkehrsspiel“ - ein weiteres Marktsegment.
„Naja...“, sinnieren die Alten spätabend am Wasserloch: „irgendwie spricht es aber auch für die Faller-Brüder, dass sie sich bei diesem Thema erkennbar unwohl fühlten“. Und wir unterstellen jetzt einfach mal, dass es tatsächlich so war.
- HansHH
Wir alle kennen die Erzählungen der Alten spätabends am Wasserloch, wenn sie davon raunen, dass die A.M.S. als Verkehrsspiel konzipiert war und die Faller-Brüder sich nur zögerlich dem Motorsport zuwandten. Als Beweis wird angeführt, dass aus Gütenbach lediglich vier reinrassige Rennfahrzeuge kamen: Porsche GT (904), Ferrari GT (Vorbild GTO), Chaparral 2F und die Zigarre in ihren diversen Erscheinungsformen (nein: der Jaguar E galt seinerzeit nicht als Rennwagen, sondern als ultimativer Puppenfänger). Und während die Alten in die Nacht starren (& zurück in vergangene Zeiten), murmeln sie, da sei von Faller Marktpotential verschenkt worden.
Aurora hatte noch in der Anlaufphase in Richtung Motorsport umgesteuert. Die in England nur zäh verkäuflichen „Electric Highways“ von Playcraft mutierten dabei zum „Model Motoring“ für Erwachsene mit Schaurennen im US-Fernsehen. Das war eine völlig andere Positionierung und orientierte sich an der Erfolgsstrategie der größeren Maßstäbe. Dem Innovator und Marktführer Scalextric folgend, setzten dort fast alle Anbieter auf Motorsport. Außerdem gab es ja nichts ur-amerikanischeres als nackten Speed. Schon 1928 hatte die „Dorfan Corporation“ in den USA Modelleisenbahn(!)-Rennen organisiert.
Erinnert sich noch irgendwer an den Land-Briefträger in Jacques Tatis Film „Das Schützenfest“ (1949)? Nachdem der – na, sagen wir mal: „ländlich-naive“ - Briefträger einen Dokumentarfilm gesehen hat über das rasante beschleunigte Leben und Arbeiten in den USA rast er – begeistert von soviel Fortschritt! - auf dem Dienstfahrrad durch sein beschauliches Dorf. Dabei schreit er: „Rapidité, rapidité!“ („Geschwindigkeit, Geschwindigkeit!“) Im Jahr 1949 fand man sowas lustig.
Was den Erfolg des Aurora-Konzepts angeht, so sprach der weitere Verlauf für sich. In den knapp drei Monaten nach der Markteinführung verkaufte Aurora 2 Millionen Bahnpackungen und 12 Millionen Autos. Niemals zuvor oder danach hatte und hat im US-Weihnachtsgeschäft ein neues Produkt derart eingeschlagen.
Das war es, was Charles Merzbach (der US-Repräsentant für Faller) nach Gütenbach berichtete. Und erstaunlicherweise war dort das Resultat ein Konzept, das sich den Strassenverkehr der „Electric Highways“ von Playcraft zum Vorbild nahm.
In der Faller-Broschüre 851/D – also spätestens ein Jahr nach Einführung der A. M.S. - bekennt sich Faller zwar zum Motorsport. Das Heft demonstriert aber auch gnadenlos, dass man im Südschwarzwald von diesem Thema keine klaren Vorstellungen hatte. Es ist kurios, was der „Fabrik feiner Modellspielwaren“ dazu einfällt. Beispiel:
„Es gibt zwei Gruppen von Rennwagen:
1. solche, die von Automobilmarken (Ferrari und ehemals Porsche) zum Zweck der Markenwerbung und meistens nicht käuflich sind, und
2. solche, die sozusagen Selbstzweck besitzen (z. B. Lotus und Cooper).“
(...mal Hand hoch, wer das beim ersten Lesen verstanden hat! Und nun bitte mal Hand hoch, wer beim zweiten Lesen glaubt, irgendwas verstanden zu haben, das aber Quatsch findet. – Danke.)
Auch die Markenbezeichnung „Masserati“ zeugt nicht unbedingt von Nähe zum Thema. Dieser Eindruck verstärkt sich weiter, wenn man in 851/D erfährt, Aufgabe des Motorsports sei, „neben der Befriedigung eines natürlichen Wettbewerbstriebes im echten sportlichen Sinn, auch gleichzeitig die Förderung nationalen Leistungsbewußtseins sowie friedliches internationales Zusammenleben“. – Wer auch das zweimal liest (muß man wohl!), sieht da plötzlich den Wertekanon der jungen Bundesrepublik in einen einzigen Satz getrümmert. Mehr an nationaler Identität gab es damals nicht. Und seither scheint auch nicht allzuviel dazugekommen.
An dieser Stelle schütteln die Alten dann den Kopf: “Jetzt überziehst Du“, seufzen sie: „Schließlich geht es hier um Spielzeug – um ein Hobby. Da ist das Ziel ein Sich-verlieren-im-Basteln-und-Spielen. Mit Politik hat das jedenfalls nix zu tun!“
Ach ja? - Alle Gesellschaftsformen – nicht nur unsere Konsum-Gesellschaft – kann man beurteilen nach ihrem Umgang mit der Freizeit. Glaubt irgendwer wirklich, der immense Markt-Erfolg von Carrera und A.M.S. wäre möglich gewesen ohne jene Freizeit und zusätzliche Kaufkraft, um die die Gewerkschaften lange und hart gekämpft hatten? Bis in die späten Fünfziger Jahre hinein waren „überflüssiges Geld und überflüssige Zeit“ für die Mehrzahl der Arbeitnehmer in Mitteleuropa undenkbar gewesen. Das Angebot der Spielzeug-Hersteller kann als Indikator gelten für jede (letztlich immer politische!) Veränderung dieser Situation. Die holprige (Vor-) Geschichte des Slot racings belegt dies mit zahllosen Beispielen. Es ist schon bemerkenswert, wieviele Anläufe über Jahrzehnte hinweg in den USA und Europa scheitern, bis Scalextric 1957 geradezu in den anglo-amerikanischen Spielzeug-Markt explodiert.
Dass der Aspekt „Motorsport“ dem A.M.S.-Konzept aufgepfropft scheint, wird plausibel wenn man bedenkt, dass Anfang der Sechziger die Le Mans-Katastrophe von 1955 noch in deprimierender Erinnerung war. Einige Nationen hatten danach den Motorsport auf ihrem Territorium verboten. Mercedes fuhr die Saison noch zuende (der Titel war dann doch wichtiger als alle Pietät), breitete dann aber in einer pathetischen Inszenierung Leichentücher über die Silberpfeile. Davon existieren Fotos.
Während das Projekt A.M.S. anlief, starb 1961, in Monza und auf dem Weg zur Formel 1-Weltmeisterschaft, Wolfgang von Trips (und mit ihm 15 Zuschauer). Wohl ein weiterer Grund, warum den Brüdern Faller das Thema Rennsport derart unangenehm war, dass sie um dessen Akzeptanz in 851/D geradezu betteln:
“Nur die Praxis bringt den endgültigen Beweis der besten Qualität und in diesem Sinne bitten wir auch die Sportveranstaltungen zu sehen“.
Das - vordergründig so unverdächtige - Wörtchen „Praxis“ wäre in diesem Zusammenhang einer genaueren Betrachtung wert. Es scheint, als sei man sich in Gütenbach durchaus bewußt gewesen, dass die – damals mörderische – „Praxis“ den Motorsport diskreditierte. Andererseits machte diese „Praxis“ den Motorsport auf perverse Art „interessant“. Und das öffnete – neben dem „Verkehrsspiel“ - ein weiteres Marktsegment.
„Naja...“, sinnieren die Alten spätabend am Wasserloch: „irgendwie spricht es aber auch für die Faller-Brüder, dass sie sich bei diesem Thema erkennbar unwohl fühlten“. Und wir unterstellen jetzt einfach mal, dass es tatsächlich so war.
- HansHH